Beitragsdatum: | Januar 2023 |
Autor/in: | Manni |
Name der Band: | Critical Extravasation |
Albumtitel: | Order Of Decadence |
Erscheinungsjahr: | 2022 |
Genre: | Thrash Metal |
Link: | Bandcamp |
Vor gut drei Jahrzehnten während der großen Metal-Welle machten solche US-Bands wie Death oder Atheist vor, wie düster und zugleich technisch-raffiniert Thrash-Metal sein kann. Critical Extravasation mit ihrem Album „Order Of Decadence“ schlagen da heute in die gleiche Kerbe, auch wenn die drei Jungs aus einer ganz anderen Ecke kommen: Moskau. Nicht nur teils ukrainische Wurzeln oder Auslandsstudienjahre, sondern auch eine gesunde Portion Intelligenz mögen die Russen aber davor bewahrt haben, wie viele ihrer Landsleute dem Propagandavirus zum Opfer zu fallen und als Putins Zombies (diese Bezeichnung darf ich mir von einem befreundeten Kollegen und Russen ausleihen) zu enden. Denn eben besagte Intelligenz wird schon im Refrain des Openers „Waltz Of Hypocrisy“ offenkundig.
I can scent the lie
Dignity will die
By the group you’re pressured
All your thoughts are patented
Narrow mind corrected
Barely room for thought
You elaborate
Someone else creates
Mindset of a victim
Vulnerable through trust
Be the part you must
Of a bigger structure
Hinter diesen textlich unmissverständlichen Zeilen schwingt ein durchaus tanzbarer Sekundentakt-Walzer, über dessen Heuchelei man sich im selben Atemzug mithilfe bissigen 6/8-Geprügels derart unversöhnlich aufregt, dass es eine Freude ist. Ideenreichtum und Präzision von Viktors und Sergeys Bass- und Gitarrenlinien sind auf Augenhöhe mit großen Vorbildern, auch Alexanders erbarmungsloses Gekreische fügt sich ins Bild eines fähigen Gespanns. Mitunter erinnern mich die schnörkellos stampfenden Session Drums an Sadus. Ein fester Schlagzeuger fehlt der Band jedoch, was angesichts des hohen Niveaus zwar schade ist aber aktuell keinen Unterschied macht, da die drei Mitglieder inzwischen offenbar voneinander getrennt sind (eine Folge der Flucht ins Ausland – das Album war bereits vor Kriegsbeginn aufgenommen worden). Der Bassist und Bandleader hat einige Wochen in einem lettischen Camp für ukrainische Kriegsflüchtlinge ausgeholfen, und um auch den letzten Zweifel auszuräumen, haben die Jungs via Social Media kundgetan, wie innig sie Putins Herrschaft und das sinnlose Blutvergießen im Nachbarland verachten.
Wer von mir Anspieltipps verlangt, dem würde ich einfach mal alle ungeraden Tracknummern empfehlen. Und wer sich immer noch ärgert, weil nachwievor keine wirklich gute Laune aufkommt, hat nicht verstanden, dass damit die Aufgabe verfehlt wäre. Die Aufgabe, aufzuzeigen, ja anzuprangern, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist. Wenn es in menschlicher Form erscheint, übertrifft und schlicht verhindert die Selbstvergessenheit des Seins seine Fähigkeit zur Selbsterkenntnis. Und die damit einhergehenden leidbehafteten Ausblühungen in seiner Welt verleiten unsere cleveren Russen – stilecht pessimistisch – zu bitterer Feststellung:
All civilizations fall
Tyrannies have returned
And freedoms have turned to sand
Medieval times come back
Das finstere Mittelalter kehrt zurück. Na dann gute Nacht, Freunde!